Definition

Die menschliche Körperhaltung äußert sich durch die räumliche Beziehung markanter Körper- bzw. Skeletteile zueinander und/oder zu der Umwelt und lässt sich durch die Angabe von Streckenlängen und Winkeln ausdrücken. So kann etwa der Winkel, der von zwei Skeletteilen eingeschlossen wird, oder der Winkel zwischen einem Skeletteil und einer horizontalen Bezugslinie, gemessen werden. Bei der Diskussion über die muskuläre Balance wird davon ausgegangen, dass diese Winkel von dem Spannungsverhältnis der das Gelenk überziehenden antagonistischen Muskeln („Gegenspieler“) abhängig ist. Eine Balance zwischen der Kraft und der Dehnfähigkeit antagonistischer Muskeln ermöglicht eine „normale“ Gelenkwinkelstellung, eine Dysbalance hat eine „unnormale“, „unphysiologische“ Gelenkwinkelstellung zur Folge.

Muskulre Balance Dysbalance

Quelle der Abb.: Klee, A. (1995): Muskuläre Balance. Die Überprüfung einer Theorie. In: sportunterricht, 44, Heft 1, S. 12-23., S. 13.

Schematische Darstellung des Zustandes einer muskulären Balance. Die antagonistischen Muskeln A und B halten durch ihr Verkürzungsverhältnis das um den Drehpunkt D drehbare Gelenk im Gleichgewicht.

Muskuläre Dysbalance durch Muskelverkürzung. Der Muskel B hat sich einem spezifischen Reiz mit einer höheren Spannung angepasst. Muskel A ist keinem Reiz ausgesetzt worden, seine Spannung bleibt gleich. Das Verkürzungsverhältnis hat sich verändert, die muskuläre Balance ist gestört.

Muskuläre Dysbalance durch Muskelverlängerung. Der Muskel A hat sich einem spezifischen Reiz mit einer niedrigeren Spannung angepasst. Muskel B ist keinem Reiz ausgesetzt worden, seine Spannung bleibt gleich. Das Verkürzungsverhältnis hat sich verändert, die muskuläre Balance ist gestört.

 

Ein Beispiel ist die Beckenneigung. So wird angenommen, dass ein vorgekipptes Becken (ein „Hohlkreuz“, B) durch eine Abschwächung und somit Verlängerung der Bauch- und Gesäßmuskeln und / oder durch zu kräftige (und somit „verkürzte“) Hüftbeuger und untere Rückenmuskeln (Rückenstrecker) verursacht wird.

Dabei kann man dieser Theorie zufolge durch gezieltes Kraft- und Dehnungstraining solche gesundheitsgefährdenden Abweichungen von der Norm beheben. Aber ganz so einfach ist es nicht (siehe die Aufsätze). So hat z. B. die Erkenntnis, dass man Muskeln durch Dehnen nicht verlängern kann (dass man langfristig nicht ihre Ruhespannung reduzieren kann), zu einem deutlichen Umdenken geführt.

 Muskulre Balance Dysbalance Körperhaltung Beckenneigung

Von den beiden extremen Ausprägungen der Beckenneigung dem vorgekippten Becken (B), wie man es häufig bei Sprintern sieht und das umgangssprachlich als Hohlkreuz bezeichnet wird, und dem aufgerichteten Becken (A) wird vor allem dem vorgekippten Becken ein gesundheitsgefährdendes Potential zugesprochen, da es hier durch die starke Krümmung der Lendenwirbelsäule zu starken Scherkräften in diesem Bereich kommt (kleine Abb. rechts unten: Steilgestellte 5. lumbale Bandscheibe), die insbesondere an den Bandscheiben und den kleinen Wirbelgelenken zu Verschleißerscheinungen führen.

Zusammenfassung der Dissertation „Haltung, muskuläre Balance und Training“ (Klee, 1994)

Das Thema "(arthro-)muskuläre (Dys-)Balance" ist eines der am meist diskutierten Themen innerhalb der Sportwissenschaft der letzten Jahre. Bei den Veröffentlichungen besteht eine auffällige Diskrepanz zwischen der Bestimmtheit, mit der Aussagen zur Theorie der muskulären Balance innerhalb der Vielzahl der erschienenen theoretischen Abhandlungen gemacht werden, und der geringen Zahl empirischer Arbeiten. In der Mehrzahl dieser empirischen Arbeiten wiederum wurden die visuelle Begutachtung der Haltung und/oder der Muskelfunktionstest nach JANDA eingesetzt, die jedoch beide nicht den Anforderungen genügen, die an Messverfahren innerhalb wissenschaftlicher Untersuchungen bzgl. der Gütekriterien gestellt werden.

Innerhalb der vorliegenden Untersuchung wurde von 54 Schülern sowohl die Muskelfunktion (die isometrische Maximalkraft [N] der Hüftstrecker, der Hüftbeuger, der Bauch- und der Rückenstreckmuskulatur; der Dehnungsgrad [ °], die maximale Dehnungsspannung [N] und die Ruhespannung [N] der Hüftbeuger und der ischiocruralen Muskulatur) als auch die Haltung (photographisch) metrisch erhoben. Darüber hinaus wurde mit 40 Schülern ein 10wöchiges Trainingsexperiment durchgeführt.

Es konnten zahlreiche Befunde festgestellt werden bei der Untersuchung der Zusammenhänge der Muskelfunktionsvariablen untereinander, der haltungskonstituierenden Merkmale (Beckenneigung, Lordose, Kyphose u.a.) untereinander und zwischen der Muskelfunktion und der Haltung.

Muskulre Balance Dysbalance Körperhaltung

Bei der Beeinflussung der Beckenneigung   dem zentralen Trainingsziel   zeigte sich ein der Hypothese entsprechendes Ergebnis; das Becken der Trainingsgruppe, die ein Programm zur Beckenaufrichtung absolvierte, richtete sich um 2,16° auf (p < 0,01).

Muskulre Balance Dysbalance Training

Durch eine aktuelle Untersuchung wird dieses Ergebnis betätigt.

Therapy of poor posture in adolescents: Sensorimotor training increases the effectiveness of strength training to reduce increased anterior pelvic tilt, Oliver Ludwig, Michael Fröhlich & Eduard Schmitt, Cogent Medicine (2016), 3: 1262094.

Verringerung der Beckenneigung durch ein 12-wöchiges Kraft- und Dehnungstraining: 1,6°. Wird zusätzlich ein sensomotorisches Training durchgeführt, verringert sich die Beckenneigung um 3,3°.

Hier werden die Ergebnisse in deutscher Sprache dargestellt.

Und auch in dieser Untersuchung zeigt sich, dass sich die Körperhaltung durch Training verbessern lässt:

Ludwig, O., Kelm. J. & Fröhlich, M. (2017). Effekte einer sportlichen Intervention auf die Haltungsentwicklung vom Jugend- zum Erwachsenenalter. Sports Orthop. Traumatol. 33, 65–72.

Haltungsschwächen im Kindes- und Jugendalter werden mit einer Prävalenz von bis zu 65% angegeben. Zusammenhänge zu Beschwerden im Rücken- und Nackenbereich sind bekannt. In der vorliegenden Langzeitstudie sollte überprüft werden, wie sich ein zielgerichtetes Haltungstraining auf die Körperhaltung auswirkt und inwieweit mögliche positive Effekte vom Adoleszenz- ins Erwachsenenalter übertragen werden können.

Material und Methoden

Bei 57 haltungsschwachen Jugendlichen wurden über 6 Jahre jährlich mehrere Haltungsparameter erhoben. 20 Jugendliche trainierten ab dem Alter von 14 Jahren durchgängig bis zum Alter von 20 Jahren, 24 Jugendliche beendeten das Training mit 18 Jahren, 13 Jugendliche dienten als Kontrollgruppe. Das Haltungstraining fand zweimal wöchentlich statt und beinhaltete Kraftausdauer-, Dehnungs- und Körperwahrnehmungsübungen.

Die Auswertung erfolgte mittels ANOVA mit Messwertwiederholung, der post hoc-Paarvergleich mittels Scheffé-Test und Bonferroni-Korrektur. Als Signifikanzniveau wurde 0,05 festgelegt.

Ergebnisse

Die durchgehend trainierende Gruppe zeigte eine signifikante Verbesserung der Haltungsparameter in allen Haltesituationen und zu allen Zeitpunkten. Die ab dem Erwachsenenalter nicht mehr trainierende Gruppe konnte einzelne Verbesserungen, wie die bewusste Aufrichtung der Körperhaltung, beibehalten; in anderen Haltesituationen (habituell, geschlossene Augen) kam es wieder zu einer Verschlechterung der Haltung. Die ermittelten Effektstärken lagen zwischen ƞ2 = 0,25 und ƞ2 = 0,49 und kennzeichnen starke Effekte. Die Kontrollgruppe zeigte keine Veränderung.

Schlussfolgerungen

Ein zielgerichtetes Haltungstraining sollte daher aus medizinisch-präventiver Sicht bereits im Jugendalter begonnen und lebensbegleitend kontinuierlich fortgesetzt werden.

Diese Studie wurde im Rahmen eines interdisziplinären Forschungsprojektes (Kid-Check) durchgeführt. Hier ein Trainingsprogramm mit Übungen zur Verbesserung der Haltung, das nicht genau dem Training der letztgenannten Untersuchung entspricht, aber auch aus diesem Forschungsprojekt stammt.


Nach diesem kleinen Exkurs zu aktuellen Studien zurück zur Dissertation:

Klee, A. (1994): Haltung, muskuläre Balance und Training. Die metrische Erfassung der Haltung und des Funktionsstandes der posturalen Muskulatur - Möglichkeiten der Haltungsbeeinflussung durch funktionelle Dehn und Kräftigungsübungen. 2. unveränderte Auflage, Frankfurt a.M.: Verlag Harri Deutsch.

 

Die Druckversion ist vergriffen, download hier

Zusammenfassung in Englisch

Muscular Balance: Testing a Theory

The topic of muscular balance is one of the most widely discussed topics in sport science over the past years. The publications show a significant discrepancy between the accuracy of the multitude of published statements on the theory of muscular balance and the small number of empirical studies. In the present investigation the author examined the logical and empirical extent of the theory of muscular balance. While the examination of plausibility and stringency of the argumentation showed that the theory of muscular balance lacks a scientific basis, the empirical part disclosed a number of correlations between muscle function and body posture. Within a ten week training Practise period the students´ average pelvic tilt was lowered significantly by a suitable program.

Zusammenfassung in Französisch

L’équilibre musculaire - évaluer une théorie

L’équilibre: c’est un des thèmes les plus discutés en science sportive lors des années passées. Ce qui frappe c’est qu’il y a un grand écart entre le petit nombre d’études empiriques sur ce thème et la quantité de travaux qui en expriment un point de vue très prononcé. Notre étude entreprend une évaluation logique et empirique de la théorie de l’équilibre musculaire. Ce contrôle a donne les résultats suivants: en ce qui concerne la plausibilité et la cohérence la théorie de l’équilibre musculaire est exempte de fondement scientifique; mais dans la partie empirique, on a pu constater beaucoup de rapports entre la fonction musculaire et l’attitude corporelle. Après une période d’entraînement avec un programme bien défini appliqué durant dix semaines, l’inclination moyenne du bassin d’un groupe d’élève a diminué sensiblement.

Zusammenfassender Beitrag zur Dissertation

Klee, A. (1995): Muskuläre Balance. Die Überprüfung einer Theorie. In: sportunterricht, 44, Heft 1, S. 12-23.

Ein Teil der Dissertation ist hier veröffentlicht:

Klee, A. (1995): Zur Aussagefähigkeit des Armvorhaltetests nach Matthiaß. In: Zeitschrift für Orthopädie und ihre Grenzgebiete, 133, Heft 3, S. 207-213.

Armvorhaltetest nach MatthiaßZusammenfassung

Im Rahmen einer Dissertation wurde unter anderem der Zusammenhang zwischen dem Armvorhaltetest nach Matthiaß und der isometrischen Maximalkraft der Rückenstrecker, der Bauchmuskulatur, der Hüftstrecker und der Hüftbeuger untersucht.

In einem ersten Schritt wurde festgestellt, daß große leichte Personen ihr Becken in der für Haltungsschwache typischen Weise zu Beginn des Armvorhaltelests nach Matthiaß vorschieben. Über diesen Befund hinaus besteht lediglich ein geringer Zusammenhang zwischen dem Armvorhaltetest nach Matthiaß und der Bauchmuskelkraft, der erwartete Zusammenhang zwischen dem Armvorhallelest nach Matthiaß und der Kraft der Rückenstrecker war nicht nachzuweisen.

Folglich ist die Eignung des Armvorhaltetests nach Matthiaß zur Diagnose einer Hallungsschwäche im allgemeinen und zur Überprüfung der Kraft der Rückenstrecker im besonderen in Frage stellen.   (Scann des Originals)

 

Predictive value of Matthiass' arm-raising test

Within the framework of a dissertation it was intended--among other things--to investigate the correlation between the "Armvorhaltetest" according to Matthiass and the maximal isometric force (MVC) of the back extensors, the abdominal muscles, the hip flexors and the hip extensors.

First of all it could be shown that, at the beginning of the "Armvorhaltetest" according to Matthiass, tall, light people move forward their hip in a manner typical for persons with a weak posture. Apart from the above mentioned result only a weak correlation exists between the "Armvorhaltetest" according to Matthiass and the MVC of the abdominal muscles. Furthermore the expected correlation between the "Armvorhaltetest" and the force of the back extensors could not be established.

These findings suggest that the applicability of the "Armvorhaltetest" according to Matthiass as a method to diagnose posture faults in general or to test the force of the back extensors in particular has to be called into question.

 

 

 

 

 

Zusammenfassender Beitrag zur Dissertation in Englisch

Klee, A., Jöllenbeck, T. & Wiemann, K.: Correlation between muscular function and posture - lowering the degree of pelvic inclination with exercise. Poster anlässlich des XVIIIth Symposium of the International Society of Biomechanics in Sports (ISBS) in Hong Kong vom 25.06. – 30.06.2000.

Ein wichtiger Beitrag zur muskulären Balance und vor allem zur Bedeutung des Titin ist der folgende

Wiemann, K., Klee, A., Stratmann, M. (1998): Filamentäre Quellen der Muskel-Ruhespannung und die Behandlung muskulärer Dysbalancen. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 44, Heft 4, S. 111-118.

Zur Information sind auch die Folien 35-54 des Vortrages „Wien“ geeignet.


Tab. I: Die „Theorie der muskulären Balance“- Was stimmt und was nicht? (Klee, A. (2002). Das Circuit-Training. Schriftenreihe Praxisideen, Verlag K. Hofmann, Schorndorf. S. 26)

Annahmen der Theorie der musku­lären Balance

Empirisch nachweisbare Fakten, offene Fragen, Vermutungen

Ein Beckenneigungswinkel von 12° ist nor­mal. Vorgekippte Becken führen zu einer Hyper­lordo­sie­rung („Hohlkreuz“), zu einer er­höhten Belas­tung der Bandschei­ben (L4/L5), der Wirbel­körper und ‑gelenke  und somit zu Rü­ckenschmer­zen.

Bei dem „Normalen“ handelt es sich um einen Bereich um den Mittelwert (z.B. 8 – 16°). Nicht jede Abwei­chung ist behand­lungsbe­dürftig. Extrem vorge­kippte Becken bergen ein gesund­heitliches Ri­siko. Eine Beckenauf­rich­tung durch Training ist möglich (2° in 10 Wochen, Klee, 1995).

Die beckenvorkippenden Muskeln sind toni­sche Muskeln und neigen zur Verkür­zung.
Die beckenaufrichtenden Muskeln sind phasi­sche Muskeln und neigen zur Ab­schwächung (Verlänge­rung).

Die Einteilung in tonische und phasische Muskeln auf­grund eines Kriterienkataloges (Haltungs- und Be­we­gungsfunktion, phylogenetisches Alter, Fa­ser­typvertei­lung) ist wissenschaftlich nicht fun­diert (Klee, 1995).

s. auch Tab. II

Sowohl durch kurzfristiges (5 ‑ 15 Minuten) als auch durch langfristiges (mehrere Wo­chen) Kraft­training (Kt) kommt es zu einer Zunahme der Ru­hespannung (Muskel­ver­kür­zung durch den Delta­zustand, Ram­sey & Street, 1940).

Ein kurzfristiges Kt führt nicht zu einer Zunahme der Ruhespannung (kein Delta­zustand, keine Mus­kelver­kür­zung, WIEMANN, 1994).
Ein langfristiges Kt führt zu einer Zu­nahme der Ru­he­spannung auf­grund einer Hyper­trophie (Klinge et al., 1997; Wiemann, 1995).

Verkürzte Muskeln müssen gedehnt wer­den, Dehnungstraining (Dt) verursacht im Muskel einen Dehnungsrückstand (Ram­sey & Street, 1940), so dass die Ru­hespannung sowohl kurz- als auch lang­fristig herabgesetzt – und die Muskel­ver­kürzung beseiti­gt wird.

Durch kurzfristiges Dt kommt es zu einer Ab­nah­me der Ruhespannung (nicht aufgrund eines Dehnungsrück­stan­des, sondern aufgrund viskoelastischer Effekte, Klee et al., 1999), diese nimmt jedoch schon eine Stunde später wieder den Aus­gangswert an (Magnusson et al., 1996a).
Durch langfristiges Dt kommt es nicht zu einer Ab­nahme der Ruhespannung, es zeigt sich eher eine Ten­denz zur Zunahme (Magnusson et al., 1996b; Wiemann, 1994).

Infolge dieser Verkürzung der beckenvor­kip­pen­den ‑ und dieser Abschwächung der be­ckenauf­richtenden Muskeln kommt es zu einer Zunahme der Beckenneigung.

Ursachen für Veränderungen der Haltung sind eher in einer Atrophie durch Bewegungsmangel und in einer Hy­per­trophie zu sehen (Ab- u. Zunahme von Myosin‑ und somit Titinfilamen­ten, Wiemann et al., 1998).
Ver­mut­lich kommt es durch bestimmte Gewohn­heits­hal­tungen (Sitzen) zu Muskelverkürzungen und –verlänge­run­gen (Veränderungen des Ar­beitswinkels; Herring et al., 1984; Wiemann et al., 1998). Entsprechende Ab- und Zunahmen der Sarkomere in Serie sind im Tierver­such nachgewie­sen (Goldspink, 1994).


Tab. II: Überprüfung der Unterschiede der posturalen (tonischen) und der phasischen Muskulatur (Klee, 1995, S. 28 – 43)

 

Eigenschaft

Gegen eine Unterscheidung zwischen posturaler und phasischer Muskulatur spricht:

1.

Funktion

Eine normative Zuordnung einer Haltungsfunktion ist aufgrund großer interindividueller Variationen nicht möglich (Bei den meisten Personen sind die Hüftstrecker Haltungsmuskeln, bei manchen die Hüftbeuger; – bei den meisten die Rückenmuskeln, bei machen die Bauchmuskeln.

2.

Reaktion auf Überlastung

Eine Muskelverlängerung durch Dehnen ist nicht möglich. Bei der Untersuchung von RAMSEY & STREET (1940) wurden die Froschmuskeln bis zu einer Länge gedehnt, die beim Menschen nicht vorkommt (150%), ähnlich: Kontraktionen, bei R & S: 65%, in-vivo 80 – 120%

3.

Phylogenese

Stammesgeschichtliche Anpassungen überdauern nicht bei einer Änderung der ökologischen Nische, die Rückenmuskeln sind bei Quadrupeden keine Haltungsmuskeln, sondern die Bauchmuskeln.

4.

gegenseitigeEinflüsse

Die Bauchmuskeln und die Hüftbeuger agieren bei allen Beugungen der Rumpfvorderseite synergistisch. Sie sind nur bezüglich der Beckenneigung Antagonisten.

5.

Fasertyp

Die Anzahl der jeweiligen Fasern ist nicht fixiert (Schwankungen der prozentualen Verteilung der Typ I‑Fasern im M. vastus lateralis von 20 bis 80% bei Männern und von 30 bis 75% bei Frauen)

Die Muskulatur verfügt über eine erstaunliche Plastizität, d.h. sie kann Fasernanteil verändern.

Mm. vasti des Quadrizeps: hoher ST-Fasernanteil (=> Haltungsmuskeln), werden aber als zur Abschwächung neigende Muskeln klassifiziert, M. rectus femoris: umgekehrte Verhältnisse 

6.

Ermüdbarkeit

7.

Reaktion

8.

Steuerung

Im Menü „Dehnen“ werden unter „2.9 Literaturrecherche im Internet“ Tipps zur Literaturrecherche gegeben. Aktuelle Publikationen findet man bei Pubmed unter dem Suchbegriff „muscular balance“ (am 16.12.2016: 120 Treffer).

z. B.:

Batalha N, Raimundo A, Tomas-Carus P, Paulo J, Simão R, Silva A. (2015)

Does a land-based compensatory strength-training programme influences the rotator cuff balance of young competitive swimmers?

Eur J Sport Sci.;15(8):764-72. doi: 10.1080/17461391.2015.1051132. Epub 2015 Sep 2.

During the repeated execution of the swimming strokes, the shoulder adductor and internal rotator muscles have a tendency to become proportionally stronger when compared to their antagonist group. This can lead to muscle imbalances.

The aim of this study was to examine the effects of a compensatory training programme on the strength and balance of shoulder rotator muscles in young swimmers.

A randomized controlled trial design was used. Forty male swimmers took part in the study and were randomly divided into two groups: an experimental group (n = 20) and a training group (n = 20). A control group (n = 16) of young sedentary male students was also evaluated. The experimental group subjects participated in a 16-week shoulder-strength programme with Thera-Band® elastic bands; the training group was restricted to aquatic training.

Peak torque of shoulder internal rotator and external rotator (ER) was measured at baseline and after 16 weeks. Concentric action at 1.04 rad s(-1) (3 reps) and 3.14 rad s(-1) (20 reps) was measured using an isokinetic dynamometer.

The strength-training programme led to an improvement of the ER strength and shoulder rotator balance in the experimental group (data from both shoulders at 1.04 rad s(-1)). Moreover, concentric action at 3.14 rad s(-1) presented significant differences only for the dominant shoulder.

Findings suggest that the prescribed shoulder-strengthening exercises could be a useful training option for young competitive swimmers. They can produce an increase in absolute strength values and greater muscle balance in shoulder rotators.

KEYWORDS:

isokinetic strength; muscular balance; shoulder rotators; strength training

 

Die Tatsache, dass man die Ruhespannung durch Dehnungstraining langfristig nicht herabsetzen kann, hat dazu geführt, dass die Bedeutung von Dehnen für die Behandlung muskulärer Dysbalancen als geringer und die Bedeutung des Krafttrainings als höher eingeschätzt wird (Wiemann, K., Klee, A., Stratmann, M. (1998): Filamentäre Quellen der Muskel-Ruhespannung und die Behandlung muskulärer Dysbalancen. In: Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 44, Heft 4, S. 111-118.).

Arbeitssektor: Der Gelenkwinkel, in dem der Muskel meist kontrahiert. Die Ruhespannung eines Muskels hängt von der Anzahl der Sarkomere in Serie ab. Bei der Frage, wie diese reguliert wird, kamen Herring et al. (1984) zu dem Ergebnis, dass der Gelenkwinkel, in dem der Muskel elektrische Aktivität zeigt, die wichtigste Bedeutung für die Steuerung der Anzahl der Sarkomere hat (Hypothese „Arbeitswinkel“), während die Hypothesen „Maximaler Gelenkausschlag“, „Durchschnittlicher Gelenkausschlag“ und „Gewohnheitshaltung“ verworfen wurden. Das viele Sitzen in unserem Alltag (Büro, Auto …) hat zur Folge, dass sich der Arbeitssektor der Hüftbeuger verlagert.

Herring, S.W., Grimm, A.F. & Grimm, B.R. (1984). Regulation of sarcomere number in skeletal muscle: a comparison of hypotheses. Muscle & Nerve, 7, 161 173.

Dass sich der Arbeitswinkel auf die Muskulatur auswirkt, zeigen Untersuchungen an Frauen, die regelmäßig auf Stöckelschuhen gehen (kürzere Muskelfasern), s. u.

Ruhespannung Hüftbeuger Hüftstrecker muskuläre Balance

1.   Die Beckenneigung wird durch die Ruhespannung der Hüftbeuger (Hb) und der Hüftstrecker (Hs) beeinflusst (neben vielen anderen Faktoren, wie z. B. die Kontraktionskraft der beteiligten Muskeln bei der aufrechten Haltung).

2.     Richtet sich das Becken auf, so steigt die Ruhespannung der Hüftbeuger; kippt es vor, so steigt die Ruhespannung der Hüftstrecker.  

3.   Dort, wo sich die Ruhespannung der Hüftbeuger (blaue Kurve) und die der Hüftstrecker (rote Kurve) aufheben, ist die Position der muskulären Balance (roter Punkt).

4.  Kommt es nun zur Atrophie der Hüftstrecker (der Muskel wird schwächer, dünner, z. B. durch Bewegungsmangel), so sinkt ihre Ruhespannung (lila Kurve), die Ruhespannung der Hüftbeuger und die der Hüftstrecker heben sich an einem Punkt weiter rechts auf (gelber Punkt), eine muskuläre Dysbalance liegt vor (die Gefahr von Rückenschmerzen steigt).

5.  Will man diese muskuläre Dysbalance beseitigen, so ist ein Dehnungstraining für die Hüftbeuger nicht erfolgversprechend (man kann die Ruhespannung durch Dehnen langfristig nicht reduzieren), sondern man muss die Hüftstrecker kräftigen (Kniebeugen, Brücke …).

Sehr empfehlenswert zur weiteren Einarbeitung ist die Seite von Prof. Dr. Klaus Wiemann.

Hier noch ein Infoblatt für Schüler*innen zum Thema „Die Bedeutung des Muskeltrainings für die Körperhaltung“. Dieses und andere Arbeitsblätter befinden sich auf der CD zum Buch Circuit-Training.

 

Infoblatt für Schüler*innen zur muskulären Balance

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Klee, A. (2001b): Krafttraining in der Schule unter besonderer Berücksichtigung der muskulären Balance und der Körperhaltung (Janda-Muskelfunktionstest) – Möglichkeiten zur unterrichtlichen Umsetzung. In: Altenberger, H. u.a. (Hrsg.): Im Sport lernen – mit Sport leben. Kongressband des 2. Kongresses des Deutschen Sportlehrerverbandes (DSLV) vom 6. – 8. April 2000 in Augs­burg, Augsburg: Ziel, S. 495‑500.

Veränderungen der muskulären Balance - das Tragen von Stöckelschuhen

Bei Tieren, deren Muskeln z. B. über mehrere Tage im verkürzten Zustand immobilisiert wurden, wurde vielfach nachgewiesen, dass sich die Muskelfasern dauerhaft strukturell verkürzen, d. h. dass die Anzahl der Sarkomere in Serie abnimmt (s. u.). Beim Menschen kann die Anzahl der der Sarkomere in Serie nicht ausgezählt werden, da hier Entnahmen von Muskelmaterial nötig ist. Deshalb werden beim Menschen vor allem die Ruhespannungs-Dehnungskurve und die Kraft-Längen-Kurve vermessen, um hiervon Rückschlüsse auf Veränderungen der Muskellänge zu ziehen.

Zurzeit gibt es nur wenige Untersuchungen, die am Menschen Veränderungen der Muskellänge nachweisen konnten. Ein Grund ist, dass es sich um sehr umfangreiche und intensive Veränderungen des Belastungsprofils eines Muskels handeln muss. Ein Beispiel ist hier z. B. das Tragen von Stöckelschuhen:

Csapo et al., 2010. On muscle, tendon and high heels. J Exp Biol. Aug: 2582-8

Diese gingen davon aus, dass beim Tragen von Stöckelschuhen die Wadenmuskeln in einer verkürzten Länge arbeiten. Da Muskeln und Sehnen  anpassungsfähige Gewebe sind, könnte das regelmäßige Tragen von Stöckelschuhen strukturelle und funktionelle Veränderungen der Muskeln und Sehnen verursachen.

 

Sie untersuchen zwei Gruppen von Frauen:

Stöckelschuh-Gruppe

        11 Frauen, die regelmäßige Stöckelschuhe tragen

        Höhe mindestens 5 cm

        fünf Mal in der Woche

        durchschnittlich 60,7 Stunden pro Woche

         mindestens 2 Jahre

Kontrollgruppe

        9 Frauen, die meist flache Schuhe tragen

        Stöckelschuhe durchschnittlichnur 2,3 Stunden pro Woche

 Sie kamen zu den folgenden Ergebnissen

1.    Die Muskelfaszien des M. gastrocnemius medialis waren um 11,5% kürzer in der Stöckelschuh-Gruppe.

2.    Der Durchmesser der Achillessehne war in der Stöckelschuh-Gruppe größer (7%).

3.    Die Längen der Achillessehne waren in beiden Gruppen gleich.

4.    Die Ruhespannungs-Dehnungskurve war in der Stöckelschuh-Gruppe höher (45%).

5.    Die Fuß war unter Ruhebedingungen weiter gestreckt (5,1°).

6.    Keine Rechtsverschiebung der Kraft-Längenkurve bei der Stöckelschuh-Gruppe.

Sie kamen zu dem Fazit, dass sich Muskelstrukturen an neue regelmäßige, umfangreiche motorische Belastungen anpassen.

Ob sich dieses Ergebnis nun auf andere umfangreiche und intensive Veränderungen des Belastungsprofils eines Muskels übertragen lässt (viel Sitzen, Körperhaltung mit hängenden Schultern, einseitige Arbeitshaltungen, -bewegungen, einseitige Belastungen durch Sportarten …), ist noch nicht nachgewiesen, aber sehr wahrscheinlich.

Veraenderungen der muskulaeren Balance durch das Tragen von Stoeckelschuhen

Zur Wirkung von Immobilisationen von Tiermuskeln in ge- und in entdehntem Zustand

Im zweiten Kapitel der Habilitation (Klee, 2003) werden die Untersuchungen zur Wirkung von Immobilisationen von Tiermuskeln in ge- und in entdehntem Zustand zusammengefasst, die zeigen, dass sich die strukturellen und somit auch die funktionellen Parameter an Veränderungen der funktionellen Länge anpassen.

Anpassungen der Anzahl der Sarkomere Goldspink

So kommt es durch Immobilisierung eines Muskels in gedehntem Zustand zu einer Zunahme der Anzahl der in Serie geschalteten Sarkomere, zu einer Abnahme der Länge der Sarkomere, zu einer Zunahme der Länge der Muskelfasern und der Länge des Muskels, zu einer Zunahme des Gewichts bei beschleunigtem Eiweißaufbau, zu einer Aktivierung der Gene vom langsamen Muskelfasertyp, zu einer Suppression der Gene vom schnellen Muskelfasertyp, zu einer Verschiebung der Kraft-Längen-Kurve nach rechts (größere Länge) und nach oben (höhere Spannung), während der Anteil des Bindegewebes (Kollagengehalt im Muskel) und die Ruhespannungs-Dehnungskurve unverändert bleiben.

Andererseits bewirkt die Immobilisierung eines Muskels in entdehntem Zustand eine Abnahme der Anzahl der Sarkomere, eine Zunahme der Länge der Sarkomere, eine Abnahme des Gewichts bei beschleunigtem Eiweißabbau und gehemmtem Eiweißaufbau, eine Suppression der Gene vom langsamen Muskelfasertyp, eine Aktivierung der Gene vom schnellen Muskelfasertyp, eine Zunahme des Anteils des Bindegewebes, eine Verkürzung der Sehne, eine Verschiebung der Kraft-Längen-Kurve nach links (geringere Länge) und nach unten (geringere Spannung), und dass sich eine kürzere, nach links verschobene Ruhespannungs-Dehnungs-Kurve zeigt.

Alle Anpassungen sind bei einer erneuten Veränderung der funktionellen Länge (Entfernung der Immobilisierung oder Immobilisierung in einem anderen Zustand) dann aber wieder völlig reversibel.

Als Reiz für die Anpassungen der Anzahl der Sarkomere kommen nach Goldspink (1994) sowohl aktive als auch passive Muskelspannungen in Frage, wobei dem Titin als Träger der Dehnungsspannung innerhalb des Muskels und als molekularer „Blaupause“ beim Aufbau des Sarkomers (Gregorio et al., 1999, S. 18) besondere Bedeutung zukommen könnte. Bei Simpson et al. (1994) wird als Reiz der Einfluss der Zugbelastung auf die Zellmembran favorisiert. Dort werde die Zugbelastung durch das Integrin, das Bestandteil der Zellmembran ist, auf das Zytoskelett und auf den kontraktilen Apparat bis hin zum Zellkern übertragen, um dort ggf. die Genexpression zu beeinflussen. Diese Wirkungskette ist aber noch als spekulativ einzustufen.

Durch moderne Untersuchungsmethoden wie der Analyse des Eiweißumsatzes und der Messenger-Ribonukleinsäure eröffnet sich die Möglichkeit, die Wirkung von Treatments in kürzeren Zeitfenstern zu untersuchen (Goldspink, 1994; Steinacker et al., 2000).

Von entscheidender Bedeutung für die Frage, ob die dargestellten Befunde über die Wirkung von Immobilisierungen von Muskeln in ge- und entdehntem Zustand sich auch auf die Wirkung des sportlichen Trainings übertragen lassen, ist, ob Dehnungen eines Muskels über einen geringeren Zeitraum nur entsprechend geringere – oder ob sie gar keine Umstellungen auslösen.

Da durch drei Untersuchungen (Frankeny et al., 1983; Williams, 1988, 1990) nachgewiesen wurde, dass auch schon durch kurzfristige Dehnungsmaßnahmen (15 – 30 Minuten) strukturelle Anpassungen bewirkt bzw. verhindert werden können, kann der Schluss gezogen werden, dass auch geringere Treatment-Umfänge Effekte zeigen können. Auch dieser Schluss muss allerdings   bis der Nachweis erbracht ist   als Hypothese gelten.

Die Wissenschaftler, die Immobilisierungen an Tieren durchführen, gehen von einer Übertragbarkeit ihrer Ergebnisse auf den Menschen und Fragen des sportlichen Trainings aus. Diese Übertragbarkeit muss jedoch durch den Hinweis auf die unterschiedlichen Proteinsyntheseraten der verschiedenen Spezies und die Abhängigkeit der Proteinsyntheseraten von einigen anderen Parametern (Hormone, Anteil von roten und weißen Muskelfasern) relativiert werden. Zurzeit liegen nur wenige Zahlen über Proteinsyntheseraten vor, die noch keine exakte Umrechnung der Immobilisationszeiträume bei den Tierexperimenten auf Trainingszeiten des Menschen zulassen.

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